Kinderbibliothek im Untergeschoss der Stadtbibliothek in Gütersloh; Foto: Marco Heyda/includi
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Interview

Sozialorte ermöglichen – Einladende Freiräume für die Stadtgesellschaft!

Mehr als 35 Jahre Erfahrung in der Gestaltung von öffentlichen Räumen kann der niederländische Architekt Aat Vos mit seinem Team vorweisen. Dabei verfolgt das Unternehmen includi eine klare Mission: Die Stärkung und Revitalisierung der modernen Gesellschaft. Sie engagieren sich für die Schaffung integrativer Dritter Orte in Europa und anderen Teilen der Welt. Zu ihren bekannten Raumkonzepten für Dritte Orte in Deutschland zählen u. a. die Stadtteilbibliothek in Köln Kalk, das Berliner Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV), die Stadtteilbibliothek Würzburg-Hubland. Weitere stehen bevor: Die Stadtbibliothek Ludwigshafen, das Bildungshaus in Norderstedt ebenso wie die Kölner Zentralbibliothek.

Redakteurin Maja Brunner sprach mit Creative Guide Aat Vos über die Bedeutung von Dritten Orten für jedermann und für die (Stadt-)gesellschaft

Herr Vos, Sie sagen „Wir müssen den öffentlichen Raum wieder zurückgeben an alle Menschen“ – was genau meinen Sie damit?

VOS: Wenn wir zurückblicken in die 70er-Jahre war das Zusammenkommen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen noch wie eine Selbstverständlichkeit. Regelmäßige Anlässe, spontane und Gelegenheiten und Orte zum Treffen gab es viele. Das wandelte sich in den Jahrzehnten danach. Ein kultureller, gesellschaftlicher und digitaler Wandel vollzog sich. Im Hier und Jetzt leben wir mit dem technischen Fortschritt, dem Internet, den sozialen Netzwerken. Im Grunde bekommen wir alles online nach Hause geliefert. Streaming auf dem heimischen Sofa statt Kinobesuch in der Stadt. Gerade bei den Jüngsten ist es besorgniserregend mit anzusehen, wie zurückgezogen sie teilweise leben und sozial weniger integriert sind. Für mich stellt sich die Frage, wie wir in einer Stadt zusammenleben wollen. Nur geografisch vereint oder mit sozialer Interaktion? Aus welchen Gründen verlassen Menschen noch die eigenen vier Wände? Sollten wir fragen, was brauchen die Menschen als Gegenpol? Und wie ließe sich das spontan organisieren? Wie ich es sehe, ist das Naheliegendste, dass wir uns um die Einrichtungen bemühen, die ohnehin bereits da sind. Ich spreche vom Potenzial der öffentlichen oder halböffentlichen Räume. Der Wiederbelebung von Gemeingut. Dem Schaffen von Dritten Orten.

Sie und Ihr Team haben bereits eine ganze Reihe an öffentlichen Einrichtungen, allen voran Bibliotheken, aber auch Verwaltungsgebäude, Theater, Kulturräume und Gemeindezentren in der Gestaltung zu Dritten Orten beraten. Was trägt unmittelbar zur Akzeptanz dieser Raumkonzepte bei?

VOS: Grundsätzlich gibt der Standort den Ton an. In erster Linie ist das die Haltung von Politik und Verwaltung, der Nutzer*innen und Bürger*innen der Stadt sowie anderen Anspruchsgruppen, ebenso wie die tatsächlichen physischen Gegebenheiten eines Standortes und psychologische Aspekte. Stadtplanung ist angewiesen auf Forschung, Datenanalyse und Beteiligung. Bereits in der Planungsphase beziehen wir die lokale Bürgerschaft und Interessengruppen mit ein, damit ihre Bedürfnisse Berücksichtigung finden. Nur so kann ein lebendiger Erlebnisraum mit eigenständiger, einzigartiger Identität und Intimität entstehen. Immer wieder zeigt sich eindrucksvoll, welche Kraft die Geschichte für die Gegenwart hat. Sei es bei der Weiter- oder Neuentwicklung eines Stadtteils oder der Revitalisierung einer Einrichtung. Es muss gelingen eine “mentale Adresse” zu erstellen und unvergessliche Eindrücke sowie Erlebnisse für die Erinnerung zu schaffen. Wenn dies gelingt, dann braucht man auch nicht von „Akzeptanz dieser Raumkonzepte“ zu sprechen, denn sie werden dankbar angenommen.

Und welche Rolle spielen Außen- und Innendesign?

VOS: Im Grunde ist das Gebäude selbst nur die Hülle. Jedoch sollten diese Orte stets so gestaltet werden, dass sich möglichst viele Menschen aller Altersklassen und aller Kulturen eingeladen fühlen. Eben ein Treffpunkt zum Aufhalten, mit einer entspannten Raumatmosphäre und den Möglichkeiten zum Interagieren. Dazu gehört eine ausgewogene Inneneinrichtung mit einem Maximum an Funktionalität und informellen Bereichen, bei der Grundprinzipien aus der Architekturpsychologie Anwendung finden. Sichtbarkeit, Erreichbarkeit, Zugänglichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Sicherheit, Komfort und (mentale) Erfahrung sind somit Voraussetzungen für die Schaffung von Engagement.

Stadtteilbibliothek Hubland in Würzburg; Foto: Marco Heyda/includi

Speziell bei den Bibliotheken gibt es (inter-)national bereits seit Längerem eine hohe Dynamik zur Veränderung. – viel stärker im Fokus dieser nicht-kommerziellen Orte stehen die Bedürfnisse der Besuchenden. Wie schätzen Sie ihre Bedeutung für unsere (Stadt-)Gesellschaft ein?

VOS: Ich finde Bibliotheken spielen eine besondere Rolle. Um es mit den Worten der Bibliothek & Information Deutschland (BID) e.V. auf den Punkt zu bringen: „Die Bibliothek als Dritter Ort versteht sich als gesellschaftlicher Knotenpunkt, als ein Ort der Begegnung, des Lernens und der Inspiration, als ein Ort sozialer, kultureller und digitaler Teilhabe.“ Zentrale Aufgaben von heutigen Bibliotheken sind, Angebote für alle Menschen zum Wissenstransfer und für gemeinsames Lernen zu bieten. Vernetzung – ob digital oder analog. Makerspace, Gaming-Area, Medienwerkstatt oder Repair-Café – die Möglichkeiten sind so vielfältig. Und der Clou dabei: So kann es auch gelingen, einen nachhaltigen Beitrag zur sozialen Infrastruktur zu leisten und Inklusion zu fördern.

Und wie denken Sie darüber, den Gedanken des Dritte-Orte-Konzeptes auf Einrichtungen in Kleinstädten, den Ländlichen Raum, zu übertragen? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

VOS: Meiner Erfahrung nach spielt der Standort kaum eine Rolle. Es kommt vielmehr darauf an, einen Ort zu bieten, an dem man seine Zeit gerne und gut verbringt. Stichwort „Time Well Spent“. Sozusagen eine Hundertachtziggradwende zum heutigen Optimierungswahn „Zeit einsparen/effizienter sein“. Jetzt geht es darum zu verweilen. Bei Kleinstädten halte ich es für sehr wichtig, diese Thematik ernst zu nehmen und bewusst eine Dritte-Orte-Entwicklung zu steuern. Betriebliche Zusammenlegungen und Mehrzweckeinrichtungen sind dabei dem Einzelbetrieb vorzuziehen. Oftmals findet sich sogar ehrenamtliche Bereitschaft zur Unterstützung der Vorhaben.

Herr Vos, was möchten Sie uns zum Abschluss noch in Bezug auf die Zukunft unserer Innenstädte mit auf den Weg geben?

VOS: Da wir eine Zeit mit Einschränkungen und einem immer stärker werdenden digitalen Wandel erleben, glaube ich, bemerken wir erstens, wie wichtig es ist, uns auch live an einem physischen Ort mit anderen Menschen zu treffen und uns auszutauschen. Und zweitens lädt uns diese Erfahrung ein, darüber nachzudenken, was dies für unsere mentale Gesundheit bedeutet. Um das Gemeinwesen zu stärken und den Gemeinschaftsgedanken wiederzuentdecken, brauchen wir dieses Bewusstsein. Begreifen wir das als Chance einander entgegenzukommen – auch bei der Stadtentwicklung, dem Städtebau und der Architektur! Das zu organisieren wird eine gesellschaftliche Aufgabe sein.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

Wir brauchen gute dritte Orte, die allen offenstehen und die Gemeinschaft voranbringen.

Aat Vos; Foto: Marco Heyda/includi

 

Über includi/Kontakt:

Das Unternehmen includi hat seinen Sitz im niederländischen Groningen.

Inklusion zu fördern und voranzutreiben ist das Leitmotto.

www.includi.com

 

Weiterführende Informationen:

https://www.bibliotheksverband.de/