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Meinung

Lebendige Mitten braucht das Land

 

MAXIMILIAN BURGER, Berater der cima. am Standort Lübeck, über die Chancen der Innenstädte nach der aktuellen Krise.


„Das Sterben des Handels“„Die Verödung der Innenstädte“„Handel in Not“:  Solche Schlagzeilen hatten in den vergangenen Wochen Hochkonjunktur. Die COVID19-Pandemie hat als Brandbeschleuniger die Hysterie über den „Niedergang unserer Innenstädte“ angeheizt und ihre nicht absehbaren Folgen schweben als dunkle Wolken über der Diskussion. Die Herausforderungen sind enorm, und sie waren es schon im Vorfeld der Pandemie. Die monofunktionale Ausrichtung vieler Innenstädte auf den Handel, die Standardisierung und Betonierung der öffentlichen Räume sowie eine langweilige und einheitliche Architektur verkörpern das eigentliche Grundübel und müssen nun mehr denn je adressiert werden.

Bedürfnisse des Menschen in den Fokus

Die COVID19-Pandemie hat uns allen verdeutlich, inwieweit nicht vorhersehbare und nicht steuerbare Faktoren, notwendige Transformationsprozesse untermauern und beschleunigen können. Sie hat uns aber auch gezeigt, egal ob wir uns als Bürger*innen einer Stadt, als Handelsexpert*innen oder als Stadtplaner*innen sehen, welche großen Potenziale in unseren Städten schlummern und welche Eigenschaften und Angebote wichtig sind, um lebenswerte Orte zu ermöglichen. Anstatt also danach zu suchen, wie unsere oftmals eindimensional ausgerichteten Innenstädte und ihre bisherigen Hauptfunktionen „gerettet“ werden können, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken und dem nun seit Jahren herausgezögerten Ende von Kaufhäusern hinterher zu weinen, müssen vielmehr die Bedürfnisse des Menschen in den Fokus rücken.

Vor allem die Anlage und Vernetzung von kleinteiligen und großflächigen Grünflächen sowie eine ästhetische Gestaltung der öffentlichen Räume sind notwendig, um unserer Quartiere, Mitten und Städte zu lebenswerten Orten zu machen. Sie waren und sind der Anker unseres sozialen Zusammenhalts und sorgen für Leben in unseren Städten. Es muss das Ziel aller sein, die Zentren der Städte wieder zu unseren Mitten umzugestalten. Weg von langweiligen und standardisierten Einkaufs- und Flaniermeilen hin zu einem vielfältigen, lebendigen Stadterlebnis mit einem multifunktionalen Angebot.

In vielerlei Hinsicht wird der Weg dorthin das Ziel sein, denn Eins ist klar: Künftig werden weitere Transformationen notwendig sein. Unsere vergangene und gegenwärtige Stadtgeschichte ist Beweis genug, dass unsere Städte und Zentren nie zu Ende gedacht werden können, da sich die Rahmenbedingungen, Neigungen und Bedürfnisse der Nutzer, also uns, immer wieder verändern.

Es steht außer Frage, dass die finanziellen Ressourcen aller Akteure der Stadtgesellschaft in naher Zukunft äußerst angespannt sein werden. Doch der Mut und die Kreativität der Akteur*innen vor Ort kombiniert mit einem hohen Engagement und Zusammenhalt sowie eine investitionswillige Förderkulisse seitens öffentlicher Institutionen können die Grundlage für eine gelungene Um- bzw. Neugestaltung unserer Innenstädte bilden. Die erfolgreichen Stadterneuerungen in vielen Städten und Gemeinden im Rahmen der Städtebauförderung sind bereits Belege dafür. Wir müssen „nur noch“ lernen, unsere Innenstädte wieder als ganzheitliche Quartiere zu denken, um den Menschen in die Innenstädte zurückzuholen.

Multicodierung und Multifunktionalität

Die Ergänzung unserer grauen Umwelt mit blauen und grünen Infrastrukturen, das Zusammenbringen neuer und moderner Wohn- und Arbeitswelten, wie bspw. großzügige Coworking-Spaces, die Schaffung interessanter und vielfältiger Gastronomie- und Kulturangebote sowie öffentliche Serviceangebote und Einkaufsmöglichkeiten müssen als Grundsäulen der Innenstadtquartiere gedacht und gelebt werden, um das Funktionsportfolio noch bunter und attraktiver zu machen. Denn dort, wo der Mensch schon ist, dort spielt das Leben. Und dort, wo das Leben spielt, da wollen auch wir alle sein, egal ob als Tourist*in oder als Bewohner*in einer Stadt.

Multicodierung und Multifunktionalität sind die Schlagwörter, die daher nun verstärkt in den Vordergrund unserer Planung rücken müssen. Es gilt, mit ihnen die urbanen Qualitäten unserer Städte in Kombination mit einer klimagerechten Stadtentwicklung neu zu formen und zu denken. Neue Konzepte, die eine Verbindung aus Einkaufen, Gastronomie, Arbeiten und Wohnen anbieten, können einen Mehrwert schaffen, der sich durch kurze Wege und hohe Qualitäten für den Menschen auszeichnet. Unsere Innenstädte werden dann endlich zu dem, was sie immer sein sollten: Lebendige Mitten!  Unsere Mitten!

Lassen Sie uns gemeinsam die Herausforderungen annehmen. Lassen sie uns gemeinsam als Stadtgestalter*innen und Stadtinnovator*innen unsere Innenstädte wieder lebendig machen. Für uns alle! Mit uns allen!


 

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Autor*in

Maximilian Burger

cima // Projektleiter Stadtentwicklung & Wirtschaftsförderung

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