(Online-)Handel und Logistik
Ist der Boom des Onlinehandels nach der Pandemie reversibel? Und haben die Innenstädte eine Chance zu bekannter Stärke zurückzukommen? Im Expertengespräch: Dr. JAN RÖTTGERS, ECE Work & Live GmbH & Co., Director Logistics & International, und Handelsexperte MARTIN KREMMING, cima.
KREMMING: Dr. Röttgers, Sie sind seit fast 20 Jahren in der Projektentwicklung der ECE tätig. Jahrelang betreuten Sie die Sparte Shopping-Center. Wir haben uns dabei kennengelernt. Nun agieren Sie in einem anderen Themenfeld. Aktuell realisiert die ECE in Deutschland eine Serie von hochmodernen Logistik-Centern für den internationalen Handels- und Logistikdienstleister HERMES. Haben Sie als ECE oder auch persönlich als Geschäftsführer, rechtzeitig den Wendepunkt von der überwiegenden Orientierung aufs stationäre Shoppingerlebnis zum Online-Handel eingeleitet? Welche Rolle spielte dabei die Pandemie?
RÖTTGERS: Bereits vor der Pandemie haben wir entschieden, keine neuen Shopping-Center mehr zu entwickeln. Wir haben uns als Unternehmen neu aufgestellt und das Bestandsgeschäft in der ECE-Marketplaces gebündelt. Für die Neuentwicklung von Projekten in den Assetklassen Residential, Hotel, Office und Logistics haben wir die ECE Work & Live gegründet. Da ich leidenschaftlicher Projektentwickler und offen für neue Herausforderungen bin, habe ich seit letztem Jahr die Leitung unseres Bereichs Logistics & International übernommen. Ohne Frage läuft Logistik zurzeit sehr gut und durch Corona erfährt diese Assetklasse eine gewisse Sonderkonjunktur.
KREMMING: Versanddienstleister haben während der Corona-Pandemie weiter an Relevanz gewonnen; der Online-Handel nochmal stark zugelegt. Was denken Sie, ist die Dynamik des Online-Handels wieder umkehrbar?
RÖTTGERS: Der Online-Handel ist in den letzten Jahren gegenüber dem stationären Handel überproportional gewachsen. Allein im letzten Jahr hat der Online-Handel um 23 Prozent auf 73 Mrd. Euro Umsatz zugelegt. Damit erreicht der Online-Handel am Gesamteinzelhandelsumsatz einen Anteil von 16 Prozent. Ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung sich nicht mehr zurückdrehen lässt. Umgekehrt hat der stationäre Handel, der bereits vor Corona unter Druck war, in den letzten Monaten erhebliche Umsatzeinbußen erlebt.
Dr. Jan Röttgers: Ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung sich nicht mehr zurückdrehen lässt.
KREMMING: Gerade in Städten wird ein Spannungsfeld deutlich: Das Sendungsvolumen des Online-Handels steigt, es gibt mehr Lieferverkehr und immer weniger Platz. Zudem werden Rufe nach lebenswertem Raum und Maßnahmen zur Klimafreundlichkeit immer lauter. Was bedeutet das für die zukünftige Logistik? Wie kommt das Unternehmen Hermes, in diesem Spannungsfeld zurecht?
RÖTTGERS: Ich kann hier nicht für Hermes sprechen. Allerdings ist das Thema Verkehr eine große Herausforderung für die Städte. Auf der einen Seite muss die Stadt gut erreichbar sein, sowohl für Anwohnende als auch Gäste, und auf der anderen Seite für die Waren. Ebenso müssen der ÖPNV und Fahrradwege konsequent ausgebaut werden. Und wir brauchen kluge Lösungen für den Warenverkehr auf der letzten Meile.
Wir wollen mit unseren Shopping-Centern einen Beitrag dazu leisten. Für uns spielen Energieeinsparung und die Nutzung erneuerbarer Energien eine wichtige Rolle. Mit der Entwicklung der Digital Mall werden wir Lieferwege verkürzen und effizienter gestalten. Wir verstehen unsere Shopping-Center als MicroHubs, aus denen heraus über unsere Digital Mall Waren nicht nur vorbestellt und abgeholt, sondern auch geliefert werden können. Wir müssen also zukünftig Systeme entwickeln, Ware und Kundschaft besser zu vernetzen und somit lange Lieferwege zu vermeiden. Das spart Verkehre und schont die Umwelt. Zudem muss über die Umnutzung vorhandener Flächen neu nachgedacht werden: Für Kultur, Sport, Events oder einfach als Orte der Begegnung.
KREMMING: Noch ein Wort zu deutschen Innenstädten nach der Pandemie: Was ist notwendig, damit die Innenstädte eine Chance haben zu bekannter Stärke zurückzukommen?
RÖTTGERS: Die Innenstädte werden sich verändern und je nach Stadtstruktur ganz individuelle Antworten finden müssen. Man muss Innenstadt neu denken und als Ort der Begegnung und des Erlebnisses begreifen. Innenstadt ist mehr als Handel, nämlich auch Raum für Wohnen, Arbeiten und Kultur.
Ein Beispiel: Die 1998 eröffnete Mall Potsdamer Platz Arkaden in Berlin wird aktuell zu einer Einkaufsstraße verwandelt – weitestgehend ohne Rolltreppen und Fußgängerbrücken. Das Gebäude öffnet sich nach außen und auch im Umfeld wird kräftig aufgeräumt. Das Beispiel zeigt, dass man auf veränderte Rahmenbedingungen Antworten finden kann. Dafür sind ein klares Konzept, starke Partner und die Bereitschaft zu investieren erforderlich. Das kann man auch auf unsere Innenstädte übertragen. Innenstädte sind wichtige Kraftorte für unser Leben. Daher ist deren Stärkung eine gesellschaftspolitische Aufgabe.
KREMMING: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Foto: Dr. Jan Röttgers und Martin Kremming auf dem Trendforum Retail 2020
Kontakt:
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