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Customer Journey in die City

 

Seit Jahrzehnten wird versucht, Ideen des Center-Managements auf Innenstädte zu übertragen. Wenn Sie mich fragen: Dieser Weg stimmte nie. Und er wird zunehmend absurder, denn eine Innenstadt ist kein Center und je mehr sich die postpandemische Stadt herauskristallisieren wird, desto offenkundiger wird dies. Die Planbarkeit im Nutzungsmix nimmt ab, Leerstände in Toplagen bis zur Kaufhausgröße sind vielerorts nicht mehr zu verbergen, Vertragslaufzeiten in Mietverhältnissen werden kürzer, der Handel zieht sich nicht nur aus den Nebenlagen zurück. Im Ergebnis kann die Innenstadt der Zukunft bunter sein, als es ein Shopping-Center jemals vorgeben konnte zu sein. Voraussetzung ist, dass heute die richtigen Weichen gestellt werden. MARTIN KREMMING, cima, zur Zukunft der Customer Journey „Innenstadt“. 


Aktuell werden in vielen Städten Versuche unternommen, über Sofortprogramme Impulse für die Innenstadtentwicklung zu geben. Diese Programme setzen oft bei Events und bei schnell umsetzbaren Maßnahmen für den öffentlichen Raum an. Ob diese Programme nachhaltige Veränderungen und eine Stärkung der Innenstädte zur Folge haben, bleibt abzuwarten. Wichtig ist jedoch, dass etwas passiert. Und dass Besuchsanlässe für die Kundschaft erzeugt werden.

Reise der Kund*innen durch die Innenstädte

Was meines Erachtens noch zu selten passiert – und wo möglicherweise etwas von den Shopping-Centern gelernt werden kann, ist die Betrachtung der Innenstädte aus der Sichtweise der Kund*innen und aus den Bedürfnissen der Konsumierenden heraus. In der Marketingpraxis besitzt dieses Thema generell höchste Relevanz: das Modell Customer Journey (Kundenreise). Die Customer Journey umfasst alle Berührungspunkte eines Konsumenten mit einer Marke, einem Produkt oder einer Dienstleistung. Die definiert die einzelnen Phasen, die eine Person durchläuft, bevor sie sich für einen Kauf entscheidet und darüber hinaus.

Bisher haben nur Teilbereiche davon Einzug in das Stadtmarketing allgemein oder aktuell in die Corona-Sofortprogramme gehalten. Lassen Sie mich deshalb die Customer Journey auf einen Innenstadtbesuch potenzieller Kundschaft übertragen.

Phasen als Interaktions- bzw. Berührungspunkte

Phase 1: Sofa

Zunächst muss die Innenstadt (wieder) ins Bewusstsein der Konsumenten gerückt werden: Die Reise beginnt bereits, wenn sich die Kundschaft noch auf dem eigenen Sofa befindet. Über Werbemaßnahmen, soziale Medien oder Direktansprache muss es gelingen, den Stamm der Kundschaft regelmäßig anzusprechen, damit Besuchsanlässe entstehen. Über digitale und physische Berührungspunkte muss ein Bewusstsein für die Stadt geschaffen werden. Über die Innenstadt muss ständig über die verschiedenen Kanäle kommuniziert werden, damit sie bei allen Zielgruppen im Gespräch bleibt. Diese Kommunikation sollte über das Stadtmarketing organisiert werden. Gleichwohl spielt die Stadtverwaltung hier eine ebenso wichtige Rolle, genau wie jedes einzelne Unternehmen einer Innenstadt. Noch immer fällt mir auf, dass zu wenige Innenstadtunternehmen sich in den sozialen Medien gegenseitig fördern. Erst darüber entsteht der Zulauf, den jedes Unternehmen allein nicht oder nur mit großem Aufwand generieren kann. Auch die in der Stadt Wohnenden sollten einbezogen werden: unzählige, kreative Mitmachaktionen finden sich auf Instagram oder Facebook als Inspiration.

Phase 2: Hinweg

Die nächste Phase ist die Bewältigung des Weges in die Innenstadt. Die angezogene Kundschaft nutzt verschiedene Verkehrsmittel. Hier kann Frustration entstehen (Pkw-Stau, Parkplatzmangel, ÖPNV funktioniert nicht, Radwege nicht ausgebaut, keine adäquaten Fahrradabstellplätze, keine barrierefreien Zugänge etc.). Gute Infrastruktur sowie guter Service können aber auch den Unterschied machen. Einige Innenstädte in Deutschland sind durch Mobilitätsmasterpläne gestärkt worden und Besuchende werden unterwegs fortwährend smart gelenkt, informiert und geleitet, immer öfter auch digital. Andere Innenstädte stehen noch ganz am Anfang und stecken in Mobilitätsfragen eher in den neunziger Jahren mit Pkw-Stellplatzdiskussionen.

Die postpandemischen Innenstädte der Zukunft werden sich z. B. darin unterscheiden, ob wirklich barrierefreie Zugänge und digitale Leitsysteme vorliegen, von welcher Qualität und Vernetzungsintensität das ÖPNV-Angebot ist, wie durchdacht das Radwegenetz ist und inwieweit ausreichend Fahrradstellplätze für alle Fahrradtypen vorliegen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Phase 3: Aufenthalt

Haben die Konsumenten den Weg in die Innenstadt erfolgreich absolviert, folgt der Aufenthalt. Besuchende erwarten heute eine Mischung aus Entertainment, Versorgung, Bequemlichkeit, Komfort und Service. Hier muss sich jede Stadt neu justieren, da sich die Gewichte zwischen Handel, Dienstleistungen und Gastronomie verschieben und sich weiter grundlegend ändern werden. Neue Funktionen, wie Freizeit, Bildung und Kultur kommen vielerorts hinzu. Aktuelle Sofortprogramme für Innenstädte setzen daher gerade bei dieser Multifunktionalität an. Ob neues Stadtmobiliar, neue Events, Begrünungsaktionen, geförderte Zwischennutzungen in Leerständen – es gibt kaum etwas, was nicht auf den Listen steht. Hoffen wir, dass diese notwendigen Belebungsmaßnahmen nachhaltig positive Auswirkungen auf unsere Zentren und Quartiere haben.

Phase 4: Rückkehr

Nach dem angenehmen und erfolgreichen Innenstadtbesuch erfolgt mit dem Rückweg wieder eine Mobilitätsphase, die durch eine geeignete Verabschiedungsgeste eingeleitet wird und hoffentlich reibungslos digital-analog gelenkt den Rückweg an den Wohnort ermöglicht. Auch diese Phase ist wichtig. Schlechte Leitsysteme etwa können den gesamten Besuch sprichwörtlich auf den letzten Metern ins Negative drehen.

Ist die Kundschaft wieder daheim, stehen die Loyalität, Vertrauen und Kundenbindung im Vordergrund. Möglichst schnell soll ein Folgebesuch in der Innenstadt ausgelöst werden. Daher ist jetzt die Arbeit an der Kundin oder dem Kunden wichtig. Die Innenstadt muss insgesamt z. B. über das Stadtmarketing und entsprechende Kommunikation (über Bonusprogramme, Stadtgutscheine, Facebook, Instagram etc.) den Kontakt aufrechterhalten oder sogar die Kundenbindung intensivieren. Nur so bleibt die Innenstadt im Gespräch und Loyalität kann entstehen. Neben dem Stadtmarketing ist aber jeder Betriebsinhaber aufgerufen, mit den eigenen Kunden in Kontakt zu bleiben.

Die Kundschaft ist wieder auf dem Sofa zurück, aber ihre nächste Shopping-Tour sollte möglichst nicht im Online-Shop stattfinden. Stand heute ist festzuhalten, dass viele Betriebe diese Hürde nicht schaffen und viele Stadtmarketing-Organisationen diese ureigene Aufgabe digital (noch) nicht ausspielen. Bei der digitalen Sichtbarkeit, digitalen Treueprogrammen (z. B. Stadtgutscheine) oder personalisierten Angeboten stehen viele Innenstädte noch am Anfang, wenngleich im zweiten Corona-Lockdown vielerorts enorm nachgeholt wurde. Es bleibt zu hoffen, dass die Begeisterung für unsere Innenstädte bei Kundinnen und Kunden wieder geweckt wird.

 

Grafik Customer Journey
Innenstadt aus Kundenperspektive gedacht – Schematische Darstellung einer Customer Journey zur Innenstadt (Quelle: cima)

Gerade im Zuge der momentanen Sonderkonjunktur durch Förderprogramme plädiere ich dafür, die Innenstädte wie aufgezeigt entlang des Modells der Customer Journey laufend zu überprüfen und zu entwickeln. Diese Reise gehört auf den Prüfstand und muss durch entsprechende Maßnahmen immer weiter optimiert werden.

An welchen Punkten kann die Innenstadt positiv überraschen und wo kann Frustration vermieden werden? Hier kann ein Blick auf die Shopping-Center dann doch hilfreich sein, da diese Sichtweise dort seit Jahren praktiziert wird. Auch wenn für die Umsetzung in unseren Innenstädten mitunter langer Atem notwendig sein wird – seit langem standen die Innenstädte nicht mehr so im Fokus wie heute. Lassen Sie uns dieses Momentum für unsere Innenstädte nutzen!


Foto: hanohiki /iStock

 

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Autor*in

Martin Kremming

cima // Projektleiter, Partner

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